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Kurtaxe: Badeorte erheben trotz Urteil weiterhin Gebühren

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Für Menschen, die ihren Urlaub ausschließlich am Mittelmeer, in der Karibik und ähnlichen Warmbader-Destinationen verbringen, müssen diese Begrifflichkeiten vielleicht kurz erklärt werden. An den deutschen Stränden gibt es zwar nicht unbedingt immer sensationell schönes Wetter, feinweißen Sand und badewannenwarmes Wasser. Manchmal ist sogar überhaupt kein Wasser zu sehen, Stichwort Ebbe.

Dennoch haben die öffentlichen deutschen Seebäder etwas zu bieten, was es sonst praktisch nur an Privatstränden gibt: Kassenhäuschen. Darin sitzen Leute, die man sich ähnlich stressresistent vorstellen muss wie Serviceschalter-Mitarbeiter der Bahn. An ihnen brandet in jedem Sommer der Unmut von Urlaubern auf, die nicht einsehen wollen, dass ihnen hier eine Gebühr für etwas abgeknöpft wird, das überall sonst auf der Welt ein selbstverständliches Allgemeingut ist: der Strand.

Wer baden will, muss zahlen

Überall an Nord- und Ostsee stoßen Urlauber auf Billettbuden und Ticketautomaten, an denen auch im 21. Jahrhundert noch dieser skurrile Wegezoll erhoben wird, der mal Strandeintritt heißt und mal Kurtaxe. Das Meer war schon lange da, bevor es auf diesem Planeten Menschen gab. Dennoch muss, wer ein erfrischendes Bad im Meer nehmen oder auch nur ein paar Schritte am Wasser spazieren möchte, fast überall in Deutschland erst mal eine Strandmaut entrichten.

Damit muss nun Schluss sein. Das Bundesverwaltungsgericht veröffentlichte jetzt die 26 Seiten starke Begründung eines Urteils aus dem letzten Jahr, wonach jeder Deutsche ein Recht darauf hat, die Strände des Landes zu Erholungszwecken frei zu betreten. Ein Sieg für den 67-jährigen Küstenbewohner Janto Just, der für sein Recht, an den verschlickten Stränden seiner Heimatgemeinde Wangerland an der Nordsee kostenlos spazieren gehen zu dürfen, durch alle Instanzen geklagt hatte.

„Die allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz schützt jede Form menschlichen Handelns, also auch das Betreten des Strandes“, gaben die Richter dem Mann recht. Ein flächendeckendes Eintrittsgeld für Strände ist demnach unzulässig. Kommunen oder Privatunternehmen dürfen allenfalls an einzelnen Strandabschnitten ein Entgelt erheben, wenn dort eine entsprechende Badeinfrastruktur vorgehalten wird. Ein paar Abfallbehälter und ein Klocontainer, so das Gericht, rechtfertigten noch keine Strandgebühr.

Freier Strand für freie Bürger? Denkste. Jenseits vom schönen Wangerland am Wattenmeer scheint sich an den deutschen Küsten durch das Urteil niemand groß angesprochen zu fühlen. Die meisten Seebäder denken offenbar gar nicht daran, ihre Kassenhäuschen abzubauen. „Nach der anfänglichen Aufregung hat sich mittlerweile Entspannung eingeschlichen“, sagt Jörn Klimant, Vorsitzender des Tourismusverbandes Schleswig-Holstein. „Bei einer ersten Auswertung des Urteils gehen wir davon aus, dass sich für Schleswig-Holstein grundsätzlich kein Handlungsbedarf ergibt.“

Die im Urteil beschriebene Situation, so begründet Klimant das nordische Achselzucken, sei ja gar „nicht 1:1 auf Schleswig-Holstein anwendbar“. Strandgebühren selbst für Tagesgäste seien für einige Menschen zwar immer auch ein Anstoß der Kritik. „Die kommen aus Mallorca und finden es dann das Normalste auf der Welt, an den Strand zu gehen und nichts zu bezahlen.“ Doch der Strandeintritt werde ja nicht erhoben, um „die Badewannen der Kurdirektoren mit Geld zu füllen“. Es sei alles eine Frage des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung.

Ob im feinen Sand an der Lübecker Bucht oder an den weiten Nordseestränden – in Schleswig-Holstein werde schon jetzt nur da Strandeintritt erhoben, wo auch eine Menge dafür geboten werde. „Da können Sie Eis essen, aufs Klo gehen, der Strand wird vielleicht von der DLRG bewacht“, schildert der oberste Tourismusbeauftragte des Nordlandes. Es gebe daneben immer auch Küstenabschnitte, wo die Menschen kostenlos ans Wasser dürfen. „Da ist dann aber auch nichts.“

„Wir planen aktuell keine Änderungen“

Vielleicht so wie in Gold auf Fehmarn? Bei dem Ort mit dem schillernden Namen handelt es sich tatsächlich um kaum mehr als eine Wiese mit horrenden Parkgebühren, von welcher man über einen gepflasterten Weg an einen zwei Meter breiten Kiesstrand gelangt. Das Wasser ist bis weit hinein seicht und veralgt. Der einzige Grund, warum Menschen hierherkommen, ist, dass man gut windsurfen kann. Von der touristischen Infrastruktur her ist Gold eher Blech. Dennoch muss jeder Besucher auf dem Weg zum Strand ein Zwei-Euro-Ticket am Kurtaxenautomat lösen. Zumindest theoretisch – die Akzeptanz scheint nicht sehr hoch zu sein.

„Es gibt in Gold vielleicht keine klassische Badeinfrastruktur. Aber wir sind verpflichtet, die Kurtaxe auf der ganzen Insel zu erheben“, sagt Tourismusdirektor Oliver Behncke. Es gebe auf der Insel immerhin 40 Toilettenhäuschen zu reinigen, außerdem müsse das Veranstaltungsprogramm finanziert und die Strandpromenade in Schuss gehalten werden. Für das alles werde die Kurtaxe benötigt. Aber wo es in Gold doch bis auf ein Klo gar nichts gibt – hätten die Leute da nicht das höchstrichterlich bestätigte Recht, die Zahlung zu verweigern? „Wir planen aktuell keine Änderungen“, sagt Behncke.
Ganz anders, aber aus behördlicher Sicht doch nicht ganz, ist die Lage an der Nordsee. In Sankt Peter-Ording ist der Strand selbst bei Hochwasser so lang und breit, dass man den nächsten Spaziergänger manchmal nur als kleinen Punkt am Horizont erkennt. Regattafelder von Strandseglern können hier im Sand ihre Runden drehen, ohne den Badegästen ins Gehege zu kommen. An kaum einem anderen deutschen Küstenort kann man ein solches Gefühl von Weite und Freiheit erleben.

Ein Nichts für drei Euro am Tag

Natürlich ist es dann auch bis zur nächsten Kaltwasserdusche oder Toilette schon mal ein zwei Kilometer langer Fußmarsch gegen den Wind. Ein richtiges Strandbad, wie es die Leipziger Richter in ihrem Urteil beschreiben, findet man in Sankt Peter-Ording nur zu Füßen der berühmten Stelzenhäuser. Der bewirtschaftete Bereich macht höchstens zehn Prozent der Strandfläche aus, wahrscheinlich viel weniger. Rund herum ist kilometerweit auf herrliche Weise gar nichts. Ein Nichts, für das die Gemeinde Tagesgästen in der Saison allerdings drei Euro abknöpft.

Ist damit jetzt Schluss?

Nein, sagt Tourismusdirektorin Constanze Höfinghoff. „Wir erheben in Sankt Peter-Ording keinen Strandeintritt“, stellt sie klar, „sondern eine Kurabgabe!“ Jeder, der keinen dauerhaften Wohnsitz in Sankt Peter-Ording habe und sich dort aufhalte, sei zu dieser Abgabe verpflichtet. Ganz egal, ob er wirklich zur Kur hier ist oder nur mal kurz Seeluft schnuppern will.

Dafür gebe es dann auch diverse Vergünstigungen wie die kostenlose Nutzung des Ortsbusses, des Familientreffpunkts Kinderspielhaus, ermäßigter Eintritt in die Dünentherme et cetera. Aber vielleicht wollen das viele gar nicht, sondern einfach nur mal eben an den Strand? Die Kurabgabe, sagt Höfinghoff, sei im Kommunalabgabegesetz des Landes Schleswig-Holstein geregelt. Allerdings gebe es auch Strandzugänge, an denen die Kurkarten nicht kontrolliert würden. Eine Aufforderung zum Schwarzbaden?

Kommt bald die Waldtaxe?

„Es ist unglaublich, wie sich Kommunen einfach über höchstrichterliche Entscheidungen hinwegsetzen“, ärgert sich Janto Just, der Kläger von Leipzig. Selbst in seiner Heimatgemeinde am Wattenmeer scheint nach dem Urteil noch immer nicht alles klar zu sein.

„Wenn der Strandeintritt entfällt, fehlen uns 500.000 Euro im Jahr“, hadert Björn Mühlena, der hauptamtliche Bürgermeister. Die Kosten für die Strandunterhaltung lägen ohnehin doppelt so hoch. Selbstverständlich werde man das Urteil respektieren, zugleich suche man nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten.

Irgendwie, so scheint es, soll auf jeden Fall abkassiert werden. Janto Just kündigt schon jetzt an, dass er erneut vor Gericht ziehen will, wenn sich die Strandbäder so billig aus der Affäre zu ziehen versuchen. „Ein Strand ist keine Kureinrichtung. Ich werde auf jeden Fall dagegen klagen!“ Womit Just gleich in Mecklenburg-Vorpommern weitermachen könnte. In praktisch allen Kur- und Erholungsorten an der Küste wird von den Gästen eine Kurtaxe erhoben.

Und das will man offenbar auch erst mal so beibehalten. „Nach unserer Einschätzung wird das Urteil keine direkten Auswirkungen auf unsere Methodik haben“, sagt Tobias Woitendorf, stellvertretender Geschäftsführer des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommern. Aber vielleicht kommt auf Meckpomm-Urlauber stattdessen ja noch eine weitere Natur-Gebühr hinzu.

Der Landwaldbesitzerverband Mecklenburg-Vorpommern kommt nun mit der Idee aus den Sträuchern, dass man doch auch für Waldspaziergänge Eintritt nehmen könnte, eine sogenannte Waldtaxe. Das erscheint selbst den Touristikern des Landes des Guten zu viel. „Es wird Gästen schwer zu vermitteln sein, dass sie nun selbst für einen Spaziergang durch den Wald etwas zahlen sollen“, befürchtet Woitendorf. „Eine Waldtaxe erscheint uns nicht sinnvoll und auch nicht durchsetzbar.“ Aber das haben die Leute vor der Einführung der Strandtaxe vermutlich auch gesagt.

Quelle: WELT

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von factum
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